Welche Faktoren geben neben Fachkräfteverfügbarkeit und Infrastruktur zukünftig bei einer großen Standortentscheidung den Ausschlag?
Tobias Vogt MdL: „Wo Energie ist, ist die Wirtschaft“
In den vergangenen Monaten sind einige wichtige Standortentscheidungen von nationaler Bedeutung gegen Baden-Württemberg, gegen die südlichen Bundesländer und für den Norden und Osten gefallen. Tesla produziert in Brandenburg, der schwedische Batteriehersteller Northvolt baut in Schleswig-Holstein und allein Intel investiert 17 Milliarden Euro in Magdeburg – die größte Investition in der Geschichte Sachsen-Anhalts. Das ist ein Warnschuss. Deshalb müssen wir uns klar machen, welche Faktoren neben Fachkräfteverfügbarkeit und Infrastruktur zukünftig bei einer großen Standortentscheidung den Ausschlag geben.
Das ist zum einen die Verfügbarkeit von Fläche und zum anderen sind es die Planungs- und Genehmigungszeiten. In diesen Bereichen gibt es viele Stellschrauben, an denen gedreht werden muss. Und das machen wir bereits: Die Landesregierung bringt eine neue Ansiedlungsstrategie auf den Weg und mit der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens für Windkraftanlagen haben wir hier im Land ein erstes Ausrufezeichen in Sachen Planungsbeschleunigung gesetzt. Daran müssen und daran werden wir anknüpfen.
Neben einem Faktor erscheinen die anderen jedoch nebensächlich. Der Faktor heißt Energie. In Zukunft: Regenerative Energie. Warum regenerativ? Es gibt praktisch keine großen oder börsennotierten Unternehmen mehr, die sich nicht der Klimaneutralität verpflichtet haben. Deshalb ist es für diese Unternehmen (standort-)entscheidend, ob regenerativ erzeugter Strom verfügbar ist.
Und damit sind wir bei einer der wichtigsten Fragen der Zukunft: Werden wir für die Wirtschaft in Baden-Württemberg ausreichend regenerative Energie zur Verfügung stellen können?
Wo Energie ist, ist die Wirtschaft. Denken wir an den Kohlestrom im Ruhrpott oder den Atomstrom in Baden-Württemberg, dessen Ausbau durch Hans Filbinger vorangetrieben wurde und den Lothar Späth anschließend wirtschaftlich vergoldet hat.
Wo Energie ist, ist die Wirtschaft. Das war schon immer so und das ist auch die Botschaft der letzten Monate. Wenn im deutschen Süden Strom knapp wird, geht immer mehr Industrie in den Norden.
Bundeswirtschaftsminister Habeck plant bis 2045 Offshore-Windkapazitäten von 70 GW in Nord- und Ostsee. Das entspricht einer Leistung von ca. 50 Atomkraftwerken! Daran gibt es erstmal überhaupt nichts zu kritisieren – ganz im Gegenteil! Aber diese Energie kommt nicht zu uns in den Süden, weil wir mit dem Finger schnippen. Welches Interesse hat der politische Norden, die kostbare und standortentscheidende Energie möglichst schnell zu uns zu transportieren? Ich behaupte: Gar keins!
Der Norden wird sich diese Chance im Standortpoker nicht entgehen lassen wollen. Er wird seinen geographischen Vorteil im Verteilungskampf, um die knappe regenerative Energie nutzen wollen, um uns wirtschaftlich abzuhängen.
Illusorisch ist zu glauben, dass der gesamte regenerative Strombedarf in Zukunft auf baden-württembergischen Flächen erzeugt werden kann. Unsere Energieversorger gehen heute davon aus, dass wir bis zum Jahr 2050 70 Prozent mehr Strom brauchen werden als derzeit. Diesen Strom werden wir aber immer weniger bei uns produzieren können. Das heißt im Klartext: Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir viel Strom importieren müssen.
Beim Strom aus dem Norden stellen sich die Fragen: Wie kommt er zu uns, wann kommt er zu uns? Wie lange dauert es, bis sämtliche Einsprüche und Genehmigungsverfahren durchlaufen sind? Das ist völlig ungewiss!
Hinzu kommt, dass eine oder zwei Energiepipelines überhaupt nicht ausreichen werden, um unseren Strombedarf in Zukunft zu decken. Wir brauchen mehr Strom – mindestens die doppelte Kapazität von Nord nach Süd als aktuell projektiert.
Wenn der regenerative Strom also nicht aus dem Norden kommt, dann müssen wir alles daransetzen, dass er aus dem Süden oder Osten Europas kommt. Wir brauchen mehr Partnerländer oder Partnerregionen, in denen der regenerative Strom für uns erzeugt wird. Das wird eine Mammutaufgabe, aber ist durchaus zu machen. Und damit ist eine der wichtigsten politischen Aufgaben der nächsten Jahre genannt.
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